Stadt Delmenhorst (2011 - 2013)
Die bisherigen Planungen zur B 212n auf der Ebene der Raumordnung und Linienbestimmung haben gezeigt, dass die Berücksichtigung der Belastungen der Bevölkerung Delmenhorsts, insbesondere durch die Verlärmung sowie durch Trennwirkungen, bislang nicht genügend betrachtet wurden. Ein Schreiben des Bundesverkehrsministeriums vom 5.1.2012 verdeutlicht dies:
"Die verkehrswirtschaftliche Untersuchung (VWU) hat ergeben, dass sich durch einen Bau der B 212n Harmenhausen - A 281(AS Bremen-Strom) erhebliche verkehrliche Probleme in Delmenhorst ergeben. Das Ergebnis der VWU ergibt einen verkehrswirtschaftlichen Nutzen und die verkehrliche Notwendigkeit einer Westumfahrung von Delmenhorst. Sie ist im Hinblick auf eine Lösung der verkehrlichen Situation in Delmenhorst notwendig. Die Untersuchungen haben zudem den Nachweis der Fernverkehrsbedeutung der Westumfahrung erbracht und damit die Baulast des Bundes hierfür begründet."
In einem mehrstufigen Variantenvergleich werden daher nun in der vorliegenden fachlichen Stellungnahme durch das Büro Dr. Hartlik die Bedenken im Hinblick auf die Landesplanerische Feststellung zur B212n als Abschluss des Raumordnungsverfahrens aus dem jahr 2009 vor dem Hintergrund neuer, bisher nicht berücksichtigter Auswirkungen ausführlich dargelegt.
Die Betrachtung der Auswirkungen erfolgt insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Europäischen Schutzgebiete und den besonderen Artenschutz unter Berücksichtigung folgender Vorhaben:
- B 213 (ROV-Antragskonferenz 2012 durchgeführt),
- B 212n (ROV abgeschlossen),
- Windpark Ganderkesee/Lemwerder (laufendes Bauleitplanverfahren),
- BAB A 281, Bauabschnitte 3.2 (Bauausführung) und 4 (Planfeststellung abgeschlossen).
Die folgende Abbildung zeigt die Schutzgebiete im Osten und die Trassen B212n (ROV-Vorzugsvariante), die Trassenvarianate B213 West 1 und die im Bau befindliche A281 mit ihren Wirkzonen sowie einen Teil des geplanten Windparks nordwestlich. Ohne Wirkzonen eingezeichnet sind die von der Stadt Delmenhorst favorisierte Nordvariante der B212n und die wesernahe Variante "w2s".
In den jeweiligen Verfahren werden kumulative Auswirkungen zwar zum Teil angesprochen, es existiert aber keine vorhabenübergreifende Betrachtung der Auswirkungen auf die bereits erheblich vorbleasteten Schutzgebiete. Die Bedeutung kumulativer Effekte und damit verbunden die umfassende Berücksichtigungspflicht solcher Auswirkungen wird durch zwei aktuelle Urteile bestätigt. Im sogenannten Trianel-Urteil des OVG Münster vom 1.12.2011 (Rechtssache 8 D 58/08.AK), bei dem der BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen gegen die Bezirksregierung Arnsberg wegen eines Kohlekraftwerkes geklagt hatte, stellte das Gericht klar, dass Umweltbelastungen im Zusammenhang mit betroffenen FFH-Gebieten in Form von Summationsbetrachtungen einzubeziehen sind. Der Begründung des Vorhabenträgers, dass mit dem Vorhaben die immissionsschutzrechtliche Irrelevanzgröße - eine Zunahme der Belastung im Hinblick auf zunehmende Eutrophierung oder Versauerung unterhalb von 3% - nicht erreicht werde, folgte das Gericht nicht. Vielmehr müssen die bestehenden immissionsschutzrechtlich relevanten Anlagen oder Planungen (soweit hierfür vollständige und prüffähige Antragsunterlagen vorliegen), die für sich genommen jeweils die Erheblichkeitsschwelle gerade noch unterschreiten, Berücksichtigung finden. Maßstab für die Erheblichkeitsschwelle hierfür waren - da keine Werte hierfür in der TA-Luft vorliegen - die sogenannten Critical Loads. Die Vorbelastung lag in den betrachteten FFH-Gebieten für Versauerung zwischen 115% und 223% und für Eutrophierung zwischen 112% und 294%. Jede Zusatzbelastung durch eutrophierende oder versauernde Luftschadstoffe kann daher eine erhebliche Beeinträchtigung verursachen. Die erste Teilgenehmigung des Kraftwerkes wurde demzufolge mit diesem Urteil für rechtswidrig erklärt.
Werden die bislang nicht berücksichtigten kumulativen Effekte mit der im Bau befindlichen A 281 sowie der in Aussicht genommenen B 213 einbezogen, verschärft sich die Gefährdungssituation für die Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes noch einmal deutlich. Bei der Berücksichtigung entsprechender Wirkzonen wird deutlich, dass der Wiedbrok zumindest bei gleichzeitiger Realisierung der Variante Ost 2 der B 213 keine Chance besitzt, Lebensraumfunktionen für die Brut- und Rastvögel bereitzustellen. Werden im Sinne einer ‚Worst Case’-Betrachtung Effektdistanzen empfindlicher Arten von 400 m zugrunde gelegt, besteht die Gefahr, dass zwischen 30 und 60% der gesamten Fläche im Vogelschutzgebiet verloren gehen. Das würde die Aufgabe des Gebietes in seiner jetzigen Bedeutung für das Natura 2000-Netz der EU und damit einen Verbotstatbestand bedeuten.
Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Das Vogelschutzgebiet Niedervieland befindet sich bereits jetzt, ohne Realisierung von B 212n, B 213 und dem Windpark Ganderkesee/Lemwerder an der Grenze der Belastbarkeit. Die sich im Bau befindende A 281 trägt bereits aktuell zu einer Verschlechterung des Lebensraumes für Brut- und Gastvögel bei, in dem Brut- und Rasthabitate direkt überbaut werden oder aber durch Überlagerung mit entsprechenden Wirkzonen nicht mehr als Lebensraum zur Verfügung stehen.
- Wird die ungestörte Restfläche berechnet, die im Vogelschutzgebiet Niedervieland ? wenn im Sinne einer Worst Case-Betrachtung von 400 m-Wirkzonen entlang der Trassen von B 212n (ROV-Vorzugsvariante), B 213 Variante Ost 2 und A 281 BA 3/2 und 4 ausgegangen wird - entfallen rund 400 ha von 1.294 ha Gesamtfläche. Das entspricht etwa einem Drittel an Gesamtverlust des Lebensraumes für Brut- und Gastvögel (vgl. Abbildung 20). Der Wiedbrok als ein wesentliches Teilgebiet des Vogelschutzgebiets neben den Teilgebieten Niedervieland III West und Ost müsste mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Vogellebensraum aufgegeben werden. In der Folge wäre das gesamte Vogelschutzgebiet nachhaltig und in erheblicher Weise beeinträchtigt und sein Fortbestand gefährdet.
- Zusätzlich zu dieser gravierenden Einschränkung des Lebensraumes ist auch der schmale Verbindungskorridor entlang der Stromer Feldmark zum Teilgebiet Brokhuchting gefährdet, da die Wirkzone, in der optische Scheuchwirkungen und die Verlärmung durch die A 281 auftreten, hier fast den gesamten Raum einnimmt (vgl. Abbildung 20). Die schmale Restfläche von etwa 150 m Breite die hier verbleibt dürfte sowohl als Lebensraum wie auch als Verbindungskorridor zum Teilgebiet Brokhuchting seine ökologischen Funktionen verlieren. Diese gut begründete Annahme führt in der Folge zu einer Isolierung des südlichen Teilgebietes Brokhuchting, so dass dieser Bereich streng genommen unter konservativer Gefährdungsabschätzung ebenfalls nicht mehr im Sinne einer funktionalen Einheit zum eigentlich Vogelschutzgebiet zählt. Dies beträfe eine zusätzliche Fläche von ca. 390 ha, so dass in der Gesamtbilanz rund 790 ha der 1.294 ha Gesamtfläche mit keiner oder zumindest stark verminderter Lebensraumfunktion resultieren. Damit droht ein Funktionsverlust auf über 60% der Gesamtfläche.
- In der dargestellten Situation der aktuellen und zu erwartenden Beeinträchtigungen des Erhaltungszustandes des Vogelschutzgebietes Niedervieland sind in den bisherigen Planungsprozessen und umweltbezogenen Fachbeiträgen keine vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen erkennbar, die eine weitere Funktionsfähigkeit dieses Lebensraumes mit verlässlicher Sicherheit gewährleisten könnten. Geeignete Flächen für Ausgleichsmaßnahmen für das VSG in der Größenordnung zwischen 400 und 800 ha im funktionalen Zusammenhang sind offensichtlich nicht verfügbar. Ein darauf basierendes schlüssiges Gesamtkonzept zu den Vermeidungs- und vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen einschließlich entsprechender Kontroll- und Überwachungsaktivitäten zur Sicherstellung der Wirksamkeit ist nicht in Sicht.
- Die in der vorliegende fachlichen Stellungnahme als Vergleichsmaßstab herangezogene Nordvariante kann die Auswirkungen auf das Vogelschutzgebiet und andere für Brut- und Gastvögel wertvolle Bereiche reduzieren. Insbesondere durch die randliche Querung des Wiedbrok an der Nahtstelle zum Teilgebiet Niedervieland III Ost bestehen erhebliche bessere Aussichten, den Wiedbrok in seiner Funktion als Vogellebensraum zu erhalten. Eine zwingende Weiterverfolgung der raumordnerischen Vorzugsvariante, wie sie in den diskutierten Planungsbeiträgen gefordert wird, lässt sich nicht ableiten, da sie auf einem in zahlreichen Punkten nachgewiesenen fehlerhaften Variantenvergleich basiert.
- Eine das Vogelschutzgebiet noch stärker entlastende Alternative wäre eine noch weiter nördlich führende Variante, die jedoch im Rahmen der Grobprüfung sowie in der Überprüfung des Variantenvergleichs von der weiteren Betrachtung ausgeschlossenen W1/W2s-Varianten. Sie würden zwar das VSG und die Ochtumniederung ebenfalls queren, allerdings in einem sehr viel geringeren Ausmaß. Inwieweit hier tatsächlich der von der Planungsgruppe Grün ermittelte irreversible Totalverlust des Teilgebietes Hinter-/Vorderwerder, Duntzenwerder aufgrund baubedingter Auswirkungen/Effektdistanzen eintritt, der zur Ablehnung dieser Trasse führte, ist fachlich nicht plausibel begründet. Mit einer vergleichbaren Begründung könnte auch die drohende vollständige Entwertung des Wiedbrok durch die ROV-Vorzugsvariante abgelehnt werden.